LOST : FOUND – Elisa Daubner
Bestimmt kennen Sie folgende Situation: Gerade eben sind sie in einem ihnen noch fremden Land angekommen – vielleicht sprechen Sie die Sprache nicht oder Sie werden sich gerade ihrer Orientierungslosigkeit bewusst.
Doch dann lesen sie die Zeichen: Das Symbol eines Pfeils, der in eine Richtung weist, das Piktogramm einer Figur, die durch einen Durchgang hindurch ins Helle gelangt sowie die Buchstaben E – X – I – T. Sie sind erleichtert, denn nun haben Sie die Orientierung wieder zurückgewonnen.
Wir alle kennen Zeichen, Symbole und Piktogramme, für deren Verständnis wir keinen verbalen Ausdruck benötigen. Sie transportieren eben jene Informationen, die wir im aktuellen Moment brauchen, beispielsweise um unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen: Wo finden wir Essen und Trinken, die Toilette, was ist innen und wo ist aussen, ist es erlaubt zu rauchen, dürfen wir laut sprechen?
Wir sind uns der Allgegenwärtigkeit von Zeichen und deren Lesbarkeit so sehr gewohnt, dass wir gänzlich darauf vertrauen.
Doch – was passiert, wenn uns die die Information der Zeichen verwehrt bleibt? Wenn wir uns rein mit Aufbau, Zusammensetzung, Form und Wirkung von kombinierten Gesten auseinandersetzen müssen? Oder anders: Was passiert, wenn wir uns den Arbeiten von Elisa Daubner annehmen?
Die Bildkonzepte von Elisa Daubner basieren gerade auf der Verwendung von abstrakten zusammengefügten Zeichen. Dabei bedient sich die Künstlerin an wiederkehrenden Formen, die sich in vergleichbarer Gestalt in unserem Alltag immer wieder finden lassen.
Die Verwendung von Zeichen in der Kunst ist dabei kein neues Phänomen und kann bis hin zur prähistorischen Zeit zurückverfolgt werden. Aufgrund der starken Veränderung unserer Kommunikationsweise jedoch erscheint es heute teilweise schwer die ursprünglichen Bedeutungen zu entschlüsseln. Kunsthistorisch ist aber auch die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessant, als sich Künstler*innen der russischen Avantgarde mit Zeichen und deren Bedeutung auseinandersetzten, indem sie eben nach einem visuellen Ausdruck suchten, der über die Sprachgrenzen hinweg verständlich sein sollte. Mit dem Einsatz von geometrischen Formen, Punkten und Linien suchten sie gar eine kulturumfassende Ursprache zu rekonstruieren.
Doch kommen wir zurück auf die Objekte, die wir hier im Raum sehen: Wie Herdentiere mögen sie uns erscheinen, doch bei genauerer Betrachtung offenbaren sie alle ihren stets eigenen, individuellen Charakter. Als Malgrund dient Elisa Daubner nicht das konventionelle Papier, sondern Gebrauchsgegenstände aus Holz. Diese findet sie am Strassenrand oder in Brockenhäusern. Neben den verschiedenen, oft markanten Formen und unterschiedlichen Oberflächenstrukturen, mit denen sich die Künstlerin fortan auseinandersetzen muss, wird Elisa Daubner folglich auch mit den Spuren des Lebens – und somit mit objektinhärenten Geschichten konfrontiert.
Betrachten wir die ausgestellten Arbeiten, so scheint die Verlockung nahe, sogleich die Rätselhaftigkeit der Bildgestaltung entschlüsseln zu wollen, das Gesehene zu verbalisieren oder es gar mit Bedeutung aufzuladen.
Ja – auch die Zeichen, die Elisa Daubner – zeichnet – scheinen auf den ersten Blick einen lesbaren Aufbau anzudeuten. Sowie die Gebrauchsobjekte gewiss Erinnerungen auslösen, meinen wir beim Betrachten Referenzen zu Höhlenmalerei, Ornamentik, zu Codesystem oder Geheimsprachen zu erahnen. Doch eine endgültige Entschlüsselung wird uns verwehrt: Oder bringen sie ein Zopfbrett, gar eine Serviettenhalterung mit einer Kultur des Sammelns und Jagens zusammen?
So sehr wir uns auch bemühen, Elisa Daubner lässt uns im Ungewissen. – Und geht dabei noch weiter: Indem sie keine lesbaren Zeichensysteme aufträgt, sondern innere Gesten zum Ausdruck bringt, konzentriert sich ihre Arbeit auf ein Gefühl, das eben durch die Betrachtung evoziert wird.
Auch wenn die Künstlerin mit dem Aufgreifen von «Objets trouvés» folglich an bereits existierende Geschichten und Bedeutungen anknüpft und damit einen weiten Assoziationsraum öffnet, ist die individuelle Einordnung der Zeichen für die Künstlerin zweitrangig. Sinnentleerung und Sinnbeladung stehen ganz dicht beieinander.
Ja, bereits die russischen Avantgard*innen sahen sich sogleich mit der Frage konfrontiert, wie Werke, denen ein eindeutiger Gegenstandsbezug entzogen wird, den Betrachtenden gleichwohl zugänglich gemacht werden können. Mit einer scheinbar unaufgeregten Geste mag Elisa Daubner uns Betrachter*innen also auch herauszufordern. Sie erschwert uns eine verstandsorientierte Annäherung an ihre abstrakten Arbeiten. Obwohl wir immer wieder zu wissen meinen, lassen die Objekte uns unwissend zurück – was bleibt ist die Einladung, sich dieser Herausforderung nicht zu entziehen.
Katrin Sperry