Jochen Kitzbihler

DAS PLASTISCHE WERK

Kitzbihlers Stelen sind heraus-ragende Zeugnisse konkreter Plastik im Sinne einer Reduzierung des Hand- schriftlichen in der Skulptur, bestechen andererseits durch eine raffinierte Vereinnahmung der gewachsenen steinernen Beschaffenheit, oft mit sublimer Ober- fläche, sie suchen dabei die Sprache im Material wie im Vorge-fundenen. Feinkörnige Gabbro Gesteine, quarzaderdurchzogener Granodiorit, raue Abrisskanten, sogar ein übernommener Sprüh-punkt zur Markierung sind lebensnaher Kontrapunkt zu geometrisch konkretem Gestalten. Kitzbihler ordnet in seinem plastischen Werk dreidimensionale Strukturen und gibt auf einer weiteren Bezugsebene diesen Ordnungen mit ästhetischen Mitteln ein sinnliches Leben. HEINZ HÖFCHEN 2023

BODIES IN MOTION – Eveline Schüep

In der Gruppe von grafischen und installativen Arbeiten, die der Bildhauer Jochen Kitzbihler unter dem Titel BODIES IN MOTION vereinigt, setzt er sich mit den grundlegenden Fragen nach Material und Form und ihrem Zusammenspiel auseinander. Sein Interesse an der Formentstehung von Materie und seine theoretisch-philosophische Beschäftigung mit Struktur führten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Meteoriten und dem Weltall oder genauer gesagt dem Kosmos [griech. (Welt)Ordnung)], ein Begriff, der auch die Gestaltetheit der Welt fasst. Kitzbihler setzt damit die räumlich-konzeptuelle Erweiterung seines Schaffens fort und verbindet wissenschaftliche Untersuchungsmethoden mit künstlerischen Techniken. Ein produktive Kontrast zwischen den wissenschaftlichen Fragestellungen und den ästhetischen Formen der Umsetzung macht die Kraft und poetische Tiefe dieser Werke aus.

 

Die fotografischen Bilder der Serie massefluss (2011) strahlen die geheimnisvolle Schönheit des Unbekannten aus und changieren zwischen Offenlegung und Auflösung. Diese Langzeitbelichtungen von Meteoritenfunden, bei denen Kitzbihler mit rotem Laserlicht die Oberfläche der Steine abtastete, entspringen seiner skulpturalen Ideenwelt. Die Helligkeitsabstufungen des eingefangenen Lichts machen gleichsam die Sehbewegungen sichtbar: Die belebende Wirkung des Blicks bringt die erkaltete Materie erneut zum Glühen. Die so evident gewordenen Formen wirken durch die subtile Setzung innerhalb des ruhenden, quadratischen Bildraumes erratisch – die Umspielung der Mitte vermittelt Bewegung.

Für die Werkserie Drops 4.567 Billion Years Ago (2011) mikroskopierte Kitzbihler am Institut Planetologie in Münster morphologische Phänomene von Urmaterie in Steinmeteoriten, sogenannten Chondriten. Er präsentiert seine fotografischen Aufnahmen dieser kosmischen Matrix in enormer Vergrößerung. Die Formationen erster mineralogischen Materiebildung faszinieren durch ihre visuellen Bezüge zu biologischen Strukturen und öffnen Bezüge zur Ikonografie archaischer Menschheitskulturen.

Kitzbihlers reflektierte Spurensuche setzt sich auch auf unserem Nachbarplaneten Mars fort: Die grafische Serie Staubteufel (2013) basiert auf Satellitenaufnahmen der Marsoberfläche und zeigt die Krater dortiger Meteoriteneinschläge sowie die Überlagerungen von gestisch wirkenden Bewegungszeichnungen turbulenter Wirbelwinde. In einem Prozess der Aneignung und Transformation, lässt Kitzbihler diese freien Formbewegungen sichtbar werden.

Der Künstler ver-dichtet – im wahrsten Sinne des Wortes – darüber hinaus auch in Aphorismen die Themen, die ihn beschäftigen. Der Satz „where do you belong and where are you longing to be“ erfasst die paradoxe Sehnsucht, welche die Bilder martian landscapes (2012) mit ihren unerreichbaren Horizonten ausstrahlen. Martian landscapes ist eine Serie, in der Kitzbihler sich durch die Setzung des Bildausschnittes die durch Roboter aufgenomme Landschaften des Planeten zu eigen macht. Zugleich scheint diese Aussage auch die Eroberung des Weltalls in Frage zu stellen.

Die Installation CLOUD (2013) aus originalen Eisenmeteoriten weltbekannter Funde (Gibeon/Namibia, Sikhote-Alin/Russland und Canyon Diabolo/ Arizona), welche auf einer Visualisierung sämtlicher bekannter Asteroidenbahnen im Sonnensystem platziert werden, erinnert an die Darstellungsmodelle von Atomen und schafft eine Verbindung zwischen dem Makro- und dem Mikrokosmos.

BODIES IN MOTION, ein Zitat aus einem faszinierenden Song von Laurie Anderson, bezieht sich einerseits auf die Meteoriten, Himmelskörper und ihre Bahnen und anderseits auf den menschlichen Körper sowie die Bewegung des Menschen, die sich auch innerlich – emotional – in der Auseinandersetzung mit dem Kosmos vollziehen.