Martin Bill

Der Wellenreiter

Martin Bill ist im Fluss. Fliessendes Wasser, wehender Wind, schäumende Wellen, gefaltetes Papier, bewegte Fahnen, abgeschliffenes Gestein, in den Himmel wachsende Gebäude, ein sich aufrichtender Mensch. Als Bildhauer und Mensch sucht Martin Bill die Harmonie und bringt sich und seine Skulpturen in Fluss.

Mit zwei Darstellungsformen beschäftigt sich Martin Bill hauptsächlich: Stelen und Wandskulpturen aus Holz. Die Stelen schrauben sich feingliedrig in die Höhe. Sie sind allansichtig und meistens für den Innenraum gedacht. Die meist in viereckiger Form gehaltenen Wandskulpturen hängen an der Wand und greifen reliefartig in den Raum. Sie sind von feinen Wellen überzogen, die sich an einem Ort bilden, sich steigern und wieder abflachen. Das feste Material Holz wird in Schwingung und Bewegung gebracht.

Martin Bill arbeitet ausschliesslich mit Holz. Mit Motorsäge, Meissel und Raspel entfernt er nicht mehr gewünschtes Material und nähert sich so Schritt für Schritt der definitiven Form. Zu Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit hat er noch mit anderen Materialien wie Stein und Glas gearbeitet, dies jedoch wieder aufgegeben. Seine Auseinandersetzung mit Holz begann mit seiner inzwischen hinter sich gelassenen beruflichen Tätigkeit als Architekturmodellbauer. Dort hat er sich langjährig mit der sehr präzisen Verarbeitung von Holz auseinandergesetzt. Das der Architektur innewohnende konstruktive Element ist in seinen Skulpturen klar ersichtlich. Beruflich widmete er sich auch der Anfertigung von Surfbrettern. Damit schulte er seine Sensibilität in der präzisen Materialverarbeitung und beschäftigte sich eingehend mit einer geschwungenen Form, die das Gleiten im Wasser optimiert. Auch seine Leidenschaft als Windsurfer und Skilehrer hat in seinem künstlerischen Ausdruck Spuren hinterlassen. Die Bewegung, das Wellende und Gleitende, sind wichtige Bestandteile seines Formenrepertoires.

Martin Bill nennt sich harmoniebedürftig. Er verfolgt die immerwährende Herausforderung, seine Umgebung und sich als eine harmonische Einheit wahrzunehmen und aktiv zu formen. Störende Elemente sollen dabei weitgehend ausgeklammert werden. Neben dem Begriff Bildhauer verwendet er auch Verbindungsmacher als Bezeichnung für seine Tätigkeit. Sein Bestreben ist es, Verbindungen zwischen den Skulpturen, den Betrachtenden und sich zu knüpfen, um damit, wenn immer möglich, seinem Ziel näher zu kommen.

Während seiner künstlerischen Tätigkeit hat Martin Bill einen charakteristischen Stil entwickelt. Zu Beginn hat er sich noch mit figurativen Elementen beschäftigt, dies jedoch bald hinter sich gelassen, um sich ausschliesslich der abstrakten Formensprache zu widmen.  Dieser Prozess wurde, wie er selbst unterstreicht, nicht in Annäherung oder in Abgrenzung zu anderen Bildhauern angeregt. Seine Formensprache entwickelte sich im Verlaufe eines sich selbst reflektierenden Prozesses. Dabei hat sich die Wellenform als ein wiederkehrendes Motiv erwiesen. Oft lässt sich in seinen Skulpturen eine sich fortbewegende Welle erkennen, die durch einen Widerstand aufgehalten wird. Dieses Hindernis wird überwunden und die Welle kann ihre ursprüngliche Bewegung wieder entfalten. Martin Bill sieht dies als Gleichnis zum Lebensfluss, der sich auch von in den Weg stellenden Steinen konfrontiert sieht, die umschifft werden müssen. Diese Brüche bieten eine Möglichkeit, sich aufs Neue zu hinterfragen und den eingeschlagenen Weg neu zu denken. Nach Martin Bills eigener Erfahrung kann die Überwindung dieser Widerstände befreiend wirken. Das Leben kann in neue Bahnen gelenkt werden.

Es erstaunt nicht, dass Martin Bill die Inspiration für eine neue Skulptur nicht in der sichtbaren äusseren Umgebung findet, sondern diese aus dem Innern schöpft. In seinem Atelier, das unterirdisch angesiedelt ist und keinen Blick in die Natur ermöglicht, zeigt sich dies in situ. Zwar erinnern viele seiner Skulpturen an vegetative, organische Formen, doch die Natur bildet nicht die zentrale Quelle seiner Arbeiten. Es ist vielmehr seine innere Gefühlswelt, die ihn zur Formfindung und Realisierung einer neuen Skulptur antreibt. Was ihn im Moment beschäftigt wird in Holz visualisiert. Martin Bill arbeitet nur selten mit Skizzen, stattdessen verwendet er kleine Holzmodelle, die seine Vergangenheit als Modellbauer aufleben lassen, oder er beginnt nach einem imaginierten Bild zu arbeiten. Auch Text kann für ihn eine Inspirationsquelle sein. Ausgewählte Zitate sind im Atelier auf den Boden geschrieben. Sie sind beim Durchgehen und Arbeiten wiederholt sichtbar.

Die rohen Holzblöcke bearbeitet er zu Beginn mit der Motorsäge, für die feineren Strukturen verwendet er einen Meissel und für die Details bevorzugt er den Raspel. Nur selten schleift er die Oberflächen mit dem Schleifpapier glatt. Wichtig ist für ihn, dass die handwerklichen Spuren sichtbar bleiben. So fällt bei vielen seiner Skulpturen die raue Oberfläche auf, die Rückschlüsse auf seine Arbeitsweise zulässt.

Martin Bill arbeitet sehr diszipliniert mit fixen Arbeitszeiten. Er beginnt frühmorgens, schaltet dazwischen eine Mittagspause ein und hört gegen Abend wieder auf. Er vergisst sich nicht vollständig in seiner Arbeit und vernachlässigt so auch sein Umfeld nicht. Er sucht die Harmonie und nicht den Widerstand. Nur selten haben aufkommende Aggressionen und Unzufriedenheit mit dem Geschaffenen zur Zerstörung von Skulpturen geführt. Um sein inneres Gleichgewicht aufrecht zu halten, hat er die Strategie entwickelt, an mehreren Skulpturen gleichzeitig zu arbeiten. Wenn bei einer Skulptur der Arbeitsfluss ins Stocken gerät, wendet er sich einer anderen Skulptur zu.

Martin Bill ist ein Wellenreiter. Er ist im Fluss.                                 Text: MICHAEL BABICS