
Alessio Delfino kehrt zum Ausstellen zurück und wählt Basel, einen privilegierten Ort für Kunst, und die Galerie Eulenspiegel von Gregor Muntwiler, mit der er in jüngster Zeit eine gute Beziehung aufgebaut hat, die auf Sensibilität und gegenseitiger Wertschätzung basiert.
Nach mehreren Jahren, in denen sich der Künstler bewusst von Ausstellungsorten distanzierte und in denen er sich der Erforschung und Analyse von Themen wie Identität, des Körpers und des Selbst gewidmet hat, enthüllt Delfino nun seine unveröffentlichten Werke. Es ist fast so, als ob er die Tür zu einer wahren Wunderkammer öffnen würde, in der die Protagonisten keine gefundenen oder wiedergefundenen Objekte, sondern Porträts von Frauen, Freundinnen und Bekannten sind, denen er im Laufe seines persönlichen und beruflichen Lebens begegnet ist.
Ein Kuriositätenkabinett, im philosophischen Sinne verstanden: Spannung, Verlangen nach Wissen und ein ontologisches Wunder, das zur Erforschung des Mysteriums des Lebens führt.
Wie ein Anthropologe hat Delfino diese Jahre damit verbracht, die fotografische Sprache – sein bevorzugtes Ausdrucksmittel – zu nutzen, um die Beziehung zwischen Menschen und ihren Körpern zu untersuchen. Dabei hat er einen fast wissenschaftlichen Katalog von Bildern erschaffen, der das Wesen seiner Motive einfängt.
Delfino wird angetrieben von der Notwendigkeit, das Rätsel zu lösen, welche Art von Beziehung zwischen einer Person und ihrem Körper besteht. So erforscht er das weibliche Individuum nicht als biologische Einheit, sondern als Verschmelzung der psychologischen und biologischen Person. Er macht sich Gedanken zum Raum des Erkennens innerhalb des „Dazwischen“ – begriffen als Denkraum, auf dem eine Klassifikation aufgebaut werden kann, die darauf abzielt, das Menschsein in seiner Gesamtheit zu verstehen. Sekretärinnen, Zirkusartistinnen, Fetischmodels: Sie alle sind einzigartige Präsenzen, die aus unwiederholbaren Begegnungen resultieren und dem Künstler ihre tiefste Identität offenbaren.
Es ist eine feldbasierte Untersuchung, die auf Beobachtung und Konfrontation mit dem Anderssein aufbaut und eine hermeneutische Zirkularität erzeugt, die auf einem Dialog beruht – zwischen Betrachterin und Beobachterin, zwischen Künstler und Modell. Dieser Beziehungsprozess erhebt keinen Anspruch darauf, Antworten zu haben, und erwartet auch keine, sondern wirft eher Fragen nach individueller und kollektiver Identität auf. Er bietet gleichzeitig einen Raum für kritische Reflexionen über die Gesellschaft.
Diese Porträts von Frauen werden mit einer Grossformatkamera erstellt, einem Werkzeug, das es Delfino ermöglicht, eine tiefe Verbindung zu seinen Modellen herzustellen und jede Aufnahme in eine kathartische Geste zu verwandeln, die das Erlebnis vertiefen soll.
Delfinos Entscheidung, mit analoger Fotografie zu arbeiten, mit einer Grossformatkamera zu fotografieren und seine Bilder persönlich zu entwickeln und zu drucken ist eine technische und poetische Entscheidung, der heute eine fast politische Bedeutung zukommt. Im Zeitalter von künstlicher Intelligenz, Deepfakes und grenzenloser digitaler Manipulation wird Delfinos Geste zu einer Geste des Widerstands – eine Bekräftigung der Realität, der Substanz, der Zeit.
Jedes Foto ist das Ergebnis einer realen Präsenz, einer unwiederholbaren Begegnung und einer gemeinsamen Verantwortung zwischen Fotograf und Motiv. Analog ist nicht nur eine formale Wahl, sondern eine Praxis der Wahrheit: eine Rückkehr zum Wesentlichen in einer Gesellschaft, die mit körperlosen Bildern, Gesichtern ohne Tiefe und Simulakren, die nie einen Ursprung hatten, überladen ist.
Mit dieser neuen Serie setzt Delfino seine Erkundung von Image und Identität fort. Dabei führt er den Betrachter in das Herz einer rigorosen und klaren ästhetischen Vision, in der jedes Element – vom Licht bis zum Hautdetail – dazu aufgerufen scheint, das wahre Wesen des Motivs zu enthüllen.
Die Kontaktdrucke auf Barytkarton, selengetönt und dann sepiagetönt, vermitteln einen zeitlosen, materiellen Eindruck und verstärken die absolute Präsenz der abgebildeten Körper und Gesichter.
Dabei handelt es sich nicht nur um eine mimetische Wiedergabe der Wirklichkeit: Bei Delfino ist das Bild immer eine Offenbarung, eine Oberfläche, die durch Transparenz und Verblassen ein Portal zu einem ontologischen Jenseits sowohl verschleiert als auch enthüllt. Es ist nie vollständig erreichbar, ist unaussprechlich und schwer fassbar ist, abstossend und verführerisch und schwankt ständig zwischen plötzlicher Offenbarung und ewigem Unbekanntem.
Viana Conti schreibt über ihn: „Delfinos tiefes Interesse an der Fotografie und den Techniken der Dunkelkammer führte ihn schon in jungen Jahren dazu, durch sein Chemiestudium die verschiedenen Möglichkeiten zu erforschen. Von seinen frühesten Arbeiten an entschied er sich, seine künstlerische Forschung auf die Schaffung fotografischer Serien auszurichten, anstatt sie in einem einzigen Bild zu synthetisieren. Er strebt nicht nach dem ‚entscheidenden Moment‛, im Sinne von Henri Cartier-Bresson, sondern verfolgt eine quasi-filmische Darstellung des Vergehens der Zeit durch Bilder, die ihre Unerbittlichkeit zu evozieren scheinen und sich damit nicht auf eine einzige Einstellung reduzieren lassen.“
Wir laden Sie ein, die wunderbare Wunderkammer von Alessio Delfino zu betreten und etwas zu erleben, das man fast als Zeitsprung bezeichnen kann und uns in eine Zeit zurückversetzt, in der der Humanismus im Mittelpunkt des kulturellen und künstlerischen Interesses stand.
Christine Enrile




Alessio Delfino wurde am 5. März 1976 in Savona (Italien) geboren. Er lebt in Albisola und arbeitet zwischen Savona und Mailand. Seine Annäherung an das Medium Fotografie erfolgte bereits in jungen Jahren durch prägende Erfahrungen in der Dunkelkammer, ein Chemiestudium und den Besuch von Künstlern. Mit ihnen schuf er seine ersten Werke, aus denen sich verschiedene Fotoserien entwickelten, beginnend mit seiner ersten Einzelausstellung in Genua, die ihn auf die nationale Bühne brachte, und der eine produktive internationale Karriere folgte, die sich heute in den jüngsten Einzelausstellungen in New York, Paris, Brüssel und Berlin widerspiegelt.
Er stellt seine Werke in Galerien, Museen und öffentlichen Räumen in Italien und im Ausland aus.
2025 Basel – Switzerland, Galerie Eulenspiegel – Wunderkammer
2016 Rivara (TO) – Italy, Castello di Rivara – Tarots
2016 Genova (GE) – Italy, VisionQuesT Studio Clelia Belgrado – Rêves – Dreams
2014 Torino (TO) – Italy, Franz Paludetto – Rêves – Dreams
2014 Andora (SV) – Italy, Palazzo Tagliaferro Contemporary Culture Center – Photographier les yeux fermés, rêver les yeux ouverts
2013 Berlin – Germany, Paolo Erbetta arte contemporanea – Rêves
2013 Seoul – Korea, Kips Gallery Photography – Rêves | Dreams
2013 New York, Chelsea – U.S.A. Kips Gallery – Rêves | Dreams
2013 Brussels – Belgique, Galerie Nardone – Tarots
2013 Paris – France, Coullaud & Koulinsky – Rêves
2011 New York, Chelsea – U.S.A. Kips Gallery – Tarots
2011 Finale Ligure – Italy, Valente Artecontemporanea – Tarots
2011 Finale Ligure – Italy, Complesso Monumentale Chiostri di Santa Caterina Oratorio de’ Disciplinanti – Tarots
2011 Rome – Italy, Franz Paludetto – Tarots
2011 Milan – Italy, MC2 Gallery – Tarots
2010 Turin – Italy, Galleria Allegretti Contemporanea – Tarots